Das Gedicht „Eine deutsche Mutter“ aus dem Jahr 1933 stand früher in meinem Lesebuch. Es begleitet eine Mutter beim Warten auf ihren Sohn, der von der Polizei geholt worden ist. In wenige Zeilen entspinnt sich : ein verzweifeltes Warten. Eine hektisch hoffnungsvolle Suche. Worte wie Schläge ins Gesicht: »… gar nicht eingetragen.« Ergebnislos rennt sie durch die Nacht, fragt an allen denkbaren Stellen an. »… es sind so viele hier.« Zurück im Polizeirevier, ist er da. Zerschunden. Und vor allem: tot. Er war ihr einziges Kind. Solche Zeilen vergisst man nie wieder. Mit dem Dichter ist das anders.
An Erich Weinert erinnern sich heute nur wenige. Kaum eine Bibliothek, in der noch ein Buch von ihm zu finden ist. Dabei war er einer der begabtesten Satiriker, Lyriker und Dokumentaristen der Weimarer Republik. Einer, der uns so heutig wie kaum ein anderer den Spiegels bereits damals – vor dem Hintergrund des ungut heranwalzenden Nationalsozialismus – vorhält. Geliebt wurde Weinert allerdings besonders für das Vortragen seiner eigenen Werke. Er muss ein hervorragender Rezitator gewesen sein. Einer, der eine einfache, klare Sprache bereithielt – für alle: hochdeutsch, sächsisch, berlinerisch. Selbst Kritiker bürgerlicher Zeitungen kamen an ihm und seiner Kunst nicht vorbei.
Natürlich man kann sich – wenn man heute an ihn erinnert – einer DDR-Nostalgie verdächtig machen. Zum Beispiel dann, wenn man ihn für Werke wie „Im Kreml brennt noch Licht“ besonders lobte. Muss man ja nicht. Es soll im Laufe eines Lebens schon einmal vorgekommen sein, dass einer sich auch mal gedanklich vergaloppiert. Vielleicht aber auch nicht. Erich Weinert und seine Gedichte aber zu vergessen, wäre in jedem Falle ein kultureller Verlust. Ein Verlust von fahrlässigem Ausmaß.
Ulrike Gastmann | ManagementRadio